Das Entbindungsheim
Wilhelm Mentzendorff, einer der Direktoren der Papierfabrik Ligatne, baute 1901 aus eigenen Mitteln das Entbindungsheim. Es war bereits von der Straße, die zu den Toren und Werkstätten der Papierfabrik führte, zu sehen. Eine Fahne auf dem Mast signalisierte beispielsweise: Ein Junge wurde geboren, und zwar beim Hissen einer blauen Fahne. Bei einem Mädchen war die Farbe rosa. Eine weiße Fahne deutete wiederum auf die Anwesenheit einer werdenden Mutter hin. Damals hatten werdende Mütter keinen Mutterschutz oder Elternzeit; sie arbeiteten bis zur Entbindung. Kurz nach der Geburt wurden Mutter und Neugeborenes in einer Pferdekutsche der Fabrik nach Hause gebracht. Die Mutter kehrte bald darauf zur Arbeit zurück, während sich eine ältere Frau, die nicht mehr arbeitete, um das Kind kümmerte.
Das Gebäude des Entbindungsheims wurde mehrmals erweitert. Es diente bis zum Zweiten Weltkrieg als Geburtsstätte, danach zog die Entbindungsabteilung ins Krankenhaus von Ligatne um. Der ursprünglich verliehene Name „Wilhelma“ ist noch immer auf dem Schild über der Eingangstür zu lesen. Später verwandelte die Papierfabrik das Gebäude in ein Wohnheim für junge Fachkräfte. Im Jahr 1965 wurde darin erneut eine medizinische Einrichtung – eine Ambulanz für die Dorfbewohner – eröffnet. Im Laufe der Jahre wurden dort auch ein Röntgenraum und verschiedene Behandlungsräume eingerichtet. Anfang der 1990er Jahre zog die Ambulanz in Teile der Räumlichkeiten der Papierfabrik um, und das ehemalige Entbindungsheim gelangte in Privatbesitz.
Das Gebäude stand einige Zeit leer, bis im Herbst 2019 eröffnete dort das Restaurant „Pavāru māja“ – zu deutsch “Haus der Köche”. Dieses bietet saisonale Gerichte aus natürlichen Zutaten und Produkten lokaler Bauern an. In alter Tradition nutzt das Restaurant die lokalen Sandsteinkeller als Vorratslager. Für herausragende Kochkunst und Nachhaltigkeit wurde dem Restaurant der grüne MICHELIN Stern verliehen.
